Symposium

Freitag, 23. Juni 2023, 9:30 bis 17:00 Uhr
Kardinal König Haus, Wien

Care-Bewegungen: Für die Demokratisierung der Sorge

Care und Demokratie stehen in einem vielschichtigen Wechselverhältnis. So geht etwa die Politikwissenschafterin Joan Tronto in ihren Überlegungen zu einer „Caring Democracy“ davon aus, dass der Demokratisierungsgrad von Gesellschaften sich letztlich daran zeigt, wie demokratisch und gerecht Care organisiert ist. Wo stehen wir in dieser Hinsicht? Inwiefern kann ich als Bürger:in davon ausgehen, unabhängig von meinen sozio-ökonomischen Lebensbedingungen bei Bedarf Fürsorge zu erfahren? Welche Möglichkeiten habe ich, mich – trotz Erwerbstätigkeit – in und für Care zu engagieren? Inwieweit sind diese Formen der Care-Teilhabe in kapitalistisch orientierten Gesellschaften eine Illusion?

Care-Bewegungen sind vielerorts aktiv. In den Communities, im Sozial- und Gesundheitsbereich und in der Arbeitswelt treten sie dafür ein, Care – die Sorge füreinander, für die natürlichen Umwelten und die nächsten Generationen – ins Zentrum des Zusammenlebens zu rücken. Ansatzpunkte finden sie in gemeinwohlorientierten Wirtschaftskonzepten, in neuen Wohnformen, in ressourcenschonenden Strategien für Natur und Ernährung. All diesen Bewegungen ist die Einsicht gemein: Es braucht Begrenzung. Degrowth ist die Strategie der Zukunft, eine Abkehr vom Paradigma des Wachstums ist in allen Formen des Wirtschaftens und der Landnutzung notwendig. Wachsen soll jedoch in Politik und Gesellschaft die Aufmerksamkeit für Care, um ein gutes Leben für alle und ein Mehr an Demokratie zu ermöglichen.

Was können wir dazu beitragen – als Bürger:innen und als Organisationen, die in Politik und Verwaltung, in Wissenschaft und Care-Praxis tätig sind? Alle Akteur:innen gestalten in ihren Rollen das Geschehen mit, teils ganz bewusst, teils unbewusst. Beim Symposium wollen wir darüber ins Gespräch kommen, und zwar in bester Tradition des Vereins Sorgenetz: Die bewährte Kombination von Impulsvorträgen und interaktiven Reflexions- und Diskussionsformaten verspricht einen Tag voll Inspiration und Austausch.

 


 

Programm

Eröffnung um 09:30 Uhr

Begrüßung: Gert Dressel und Sonja Prieth

Impuls: Zukunft Gesundheitsförderung und Caring Communities
Gerlinde Rohrauer-Näf: „Caring Communities vertiefen und ergänzen die langjährigen Umsetzungserfahrungen zur Stärkung von sozialer Teilhabe, Zusammenhalt und Chancengerechtigkeit in der kommunalen Gesundheitsförderung in Österreich.“

Einführung von Patrick Schuchter und Klaus Wegleitner

10:00 Uhr

Keynote 1: Mike Laufenberg
Radical Care: Sorgen als demokratische Praxis

Die Idee der Caring Communities rückt die Praxis des Sorgens ins Zentrum von Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, seines Gelingens und seiner Regelung. Caring Communities artikulieren die Sorgefrage damit nicht nur als moralische und organisatorische, sondern als genuin politische Frage. Dies ist jedoch noch kein hinreichendes Kriterium für eine demokratische Form von Sorge. Caring Communities können auch autoritäre, homogene und exklusive, auch nationalistische und rassistische Gemeinschaftsvorstellungen zugrunde liegen. Eine wahrhaft demokratische Form des Sorgens ist erst dann gegeben, wenn alle Bürger:innen zum einen Zugang zu Sorge haben und zum anderen die Bedingungen, Inhalte und Formen des Sorgens mitbestimmen und mitgestalten können. Vor dem Hintergrund einer solchen idealen Definition demokratischen Sorgens geraten die eklatanten Demokratiedefizite der Organisation des Sorgens in unseren Gegenwartsgesellschaften in den Blick. Der Vortrag verfährt von hier aus in zwei Schritten: Erstens wird erörtert, wie Demokratiedefizite im Kontext der gesellschaftlichen Organisation des Sorgens soziale Ungleichheiten und Geschlechterhierarchien befestigen und soziale Gruppen wie Migrant:innen, LGBTIQ-Personen und Behinderte weiter marginalisieren. Zweitens werden radikaldemokratische Konzepte wie Radical Care und Care-Citizenship (Sorgebürger:innenschaft) diskutiert, die im Kontext sozialer Bewegungen entwickelt wurden und die uns Denkanstöße geben können, wie Caring Communities zu einer echten Demokratisierung der Sorge beitragen können – und damit zur Demokratisierung der Demokratie insgesamt.

Resonanz und Diskussion

11:15–11:45 Uhr Pause

11:45 Uhr

Keynote 2: Daniela Gottschlich
Caring with Nature/s: Care als politische Transformationspraxis

Im Zentrum des Vortrags wird der Ansatz Caring with Nature/s stehen, den ich zusammen mit Christine Katz entwickelt habe. Wir machen Care dabei zum Ausgangspunkt für die Gestaltung von Welt und begreifen Care dreifach: als ethische Haltung, die Gesellschaftsgestaltung zu orientieren vermag, als ökonomisch notwendige Tätigkeit, auf die jede Gesellschaft aufbaut und die daher u. E. ins Zentrum gerückt werden muss, sowie als politische Transformationspraxis, die auch Sorgearbeiten für Natur, für Tiere und Pflanzen einschließt. Unserem Ansatz inhärent ist eine Kritik an einem Wirtschaftssystem, in dem Wachstums- und Verwertungslogiken über Reproduktionsnotwendigkeiten, Bedürfnisbefriedigung und Beziehungsgerechtigkeit gestellt werden. Als transformative Praxis zielt Care auf den notwendigen Umbau von Externalisierungsgesellschaften hin zu sorgenden Gesellschaften, die sowohl die Beziehungen zwischen Menschen als auch ihren Umgang mit Natur (vor)sorgend gestalten.

Antworten auf die multiple Krise der Erhaltung von menschlichem und nichtmenschlichem Leben lassen sich nur finden, wenn Care, Geschlechterverhältnisse, Ökonomie, Arbeitsorganisation, Zeitstrukturen und soziale und ökologische Gerechtigkeit zusammengedacht werden. Menschen haben ein Recht darauf, gut versorgt zu werden und für andere zu sorgen – einschließlich für die nichtmenschlichen Anderen. Care stellt eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe dar, für die es gute Modelle und Infrastrukturen zu entwickeln gilt.

Resonanz und Diskussion

Kommentar von Andreas Heller

13:00 Mittagspause

14:00–15:45 Uhr

Solidarität im Fokus: Wege zur Demokratisierung der Sorge
Partizipativer Diskurs, Impulse, Resonanzen

Drei Impulsgeber:innen aus Wissenschaft und Praxis eröffnen einen diskursiven Raum. Emma Dowling, Thomas Klie und Karin Schuster stellen pointiert ihre Einsichten und kritische Zukunftsfragen zur Verfügung, Personen aus dem D-A-CH-Netzwerk Caring Communities erweitern die Perspektiven.

Emma Dowling: „Um neue Möglichkeiten des solidarischen Zusammenlebens jenseits einer privatisierten Sorgeverantwortung auszuloten, sind Forderungen für ein anderes Wirtschaften wie auch Visionen für ein gutes Leben für alle in gleichem Maße gefragt.“

Thomas Klie: „Caring Communities stehen für das gemeinsame  Ringen um Bedingungen guten Lebens für alle Bürger:innen  vor Ort – für eine Demokratisierung von Sorgefragen.“

Karin Schuster: „Das Projekt Pflegestützpunkt greift Pflegearbeit nicht nur medial auf, sondern gibt durch einen partizipativen Ansatz unterrepräsentierten Akteur:innen in der Pflege- und Sorgearbeit mit vielfältigen Aktionen eine Stimme. Es braucht dringend den Diskurs darüber, wie wir umsorgt und gepflegt werden wollen, um Lösungsansätze finden zu können.“

Gemeinsam mit dem Publikum werden die Bedingungen demokratischer Care-Praxen und Zukunftsbilder solidarischer Lebensweisen diskutiert.

15:45-16:15 Uhr Pause

16:15 Uhr

Abschluss und Resümee

Kommentare von Katharina Heimerl, Robert Sempach

Kernthesen zu Caring Communities von den Absolvent:innen des 1. Internationalen Lehrgangs Caring Communities (ILCC)

Ausblicke: Verein Sorgenetz

ab  17:00 Uhr Ausklang bei Musik, Wein und Brot
mit der Wiener Brut

Zum Download

Wiener Brut @ HENGL (c) 2022 Stephan Mussil

Katharina Hohenberger

Gesang, Geige

Johannes Münzner

Akkordeon

Die Wiener Brut besingt mit viel Humor und Selbstironie die Lebenserfahrungen, die man im Laufe seines Lebens macht. „Egal was morgen is, mia san Menschen, deswegen samma do.“

 


 

Die Beitragenden

Emma Dowling ist Assistenzprofessorin am Institut für Soziologie der Universität Wien. Mit einer Arbeit zu Globalisierungskritik hat sie 2010 an Birkbeck, University of London promoviert und 2019 habilitierte sie sich für Soziologie an der Universität Jena mit einer Arbeit zu politischer Ökonomie, affektiver Arbeit und sozialer Reproduktion. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen neben der Soziologie sozialen Wandels die politische Ökonomie der Daseinsvorsorge, die Finanzialisierung des Sozialen, unbezahlte Arbeit und Care-Regime. Ihr neues Buch „The Care Crisis“ ist im Januar 2021 bei Verso (London/New York) erschienen.

Daniela Gottschlich ist transdisziplinär arbeitende Politik- und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. Sie ist Professorin für „Nachhaltigkeit und Gesellschaftsgestaltung“ an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Zuvor war sie für diversu e. V. – das Lüneburger Institut für Diversity, Natur, Gender und Nachhaltigkeit, das sie mitgegründet hat, tätig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Themen rund um die sozial-ökologische Transformation, Politische Ökologie, Feministische Sozial-ökologische Ökonomik, Care, Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse, Ökologie und Rechtsextremismus.

Thomas Klie ist Sozial- und Rechtswissenschaftler, er war bis 2021 Professor an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Er leitet die Institute agp Sozialforschung und das Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Freiburg und Berlin, arbeitet als Rechtsanwalt. Er zählt zu den wichtigen Sozialexpert:innen in Deutschland. Als Sach- und Fachbuchautor und in der Politikberatung nimmt er zu Fragen der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, der Pflege und Teilhabe ebenso Stellung wie zur Bedeutung der Zivilgesellschaft in den aktuellen Transformationsprozessen. Er lebt in Starnberg, er lehrt in Freiburg und Graz.

Mike Laufenberg ist Soziologe und Politikwissenschaftler und forscht am Arbeitsbereich Politische Soziologie des Instituts für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er seit vielen Jahren in care- und queerpolitischen Zusammenhängen aktiv. Als Mitglied des Herausgeber:innenkollektivs „Kitchen Politics“ veröffentlicht er regelmäßig Bücher zu aktuellen queer-feministischen und care-politischen Debatten, etwa zu Care-Commons, Reproduktionstechnologien und reproduktiver Gerechtigkeit.

Gerlinde Rohrauer-Näf (c) Ettl

Gerlinde Rohrauer-Näf ist Leiterin des Kompetenzzentrums Zukunft Gesundheitsförderung und Stellvertretende Geschäftsbereichsleiterin beim Fonds Gesundes Österreich (FGÖ). Sie ist Psychologin und hat ein postgraduelles Public Health Studium an der Medizinischen Universität Graz absolviert. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen Gesundheitsförderung, psychosoziale Gesundheit, Public Health, Gesundheit und Nachbarschaft (kommunale Gesundheitsförderung), Beteiligung u.a.m.

Karin Schuster (c) Salon Deluxe

Karin Schuster arbeitet als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin im Funktionsbereich OP. 2016 schloss sie den Medienlehrgang der Uni Graz mit Master of Arts ab. Seit 2010 ist sie bei Radio Helsinki – Freies Radio Graz – aktiv, wo sie das Projekt „Pflegestützpunkt“ 2018 initiierte und seitdem kuratiert. Sie engagiert sich bei Attac und FairSorgen! und liebt Aktivitäten im Äther und auf der Straße.

In weiteren impuls- und resonanzgebenden Rollen:

Katharina Heimerl (Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien; D-A-CH-Netzwerk CC)

Andreas Heller (Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care Forschung (CIRAC), Universität Graz; Leitungsteam ILCC)

Patrick Schuchter (Kardinal König Haus Wien; CIRAC, Universität Graz; Verein Sorgenetz, Wien; Leitungsteam ILCC; D-A-CH-Netzwerk CC)

Robert Sempach (Initiator des Netzwerks Caring Communities Schweiz und selbständiger Community Berater; Leitungsteam ILCC; D-A-CH-Netzwerk CC)

Klaus Wegleitner (CIRAC, Universität Graz; Verein Sorgenetz, Wien; Leitungsteam ILCC; D-A-CH-Netzwerk CC)

Moderation:

Gert Dressel  (Verein Sorgenetz, Wien; Institut für Pflegewissenschaft, Uni Wien; D-A-CH-Netzwerk CC).

Sonja Prieth  (Verein Sorgenetz, Innsbruck; Supervisorin/Coach; freie Sozialwissenschaftlerin und Publizistin)


Das Symposium richtet sich an

Engagierte in Caring Communities-Initiativen; Verantwortliche in Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens sowie in Politik und Verwaltung; Personen, die in Care- Berufen tätig sind; Personen, die sich zivilgesellschaftlich für bzw. in der Care-Arbeit engagieren (möchten); der Hospiz- und Palliativbewegung nahestehende Personen; alle Menschen, die an der Entwicklung von zukunftsfähigen Formen des Zusammenlebens interessiert sind.

Veranstaltungsort

Kardinal König Haus, Kardinal-König-Platz 3, 1130 Wien

Veranstalter

Verein Sorgenetz in Zusammenarbeit mit dem „1. Internationalen Lehrgang Caring Communities 22/23“ und mit dem D-A-CH-Netzwerk Caring Communities

Programmentwicklung

Sonja Prieth, Patrick Schuchter, Klaus Wegleitner

Information und Anmeldung

Verein Sorgenetz, Tagungsbüro: Ilona Wenger: wenger@sorgenetz.at

Teilnahmebeitrag

EUR 125,00; Frühbucher:innen bis zum 28.02.2023 zahlen EUR 100,00

Im Preis inkludiert sind Pausenverpflegung am Vormittag und am Nachmittag sowie das warme Mittagsbuffet im Kardinal König Haus.

Begrenzte Teilnehmer:innen-Anzahl. Nach Ihrer verbindlichen Anmeldung per Mail (bitte um Angabe der korrekten Rechnungsadresse) erhalten Sie eine Bestätigung der Anmeldung und eine Rechnung über die Tagungsgebühr zugeschickt. Erst nach Zahlungseingang ist Ihr Platz gesichert. Eine Stornierung ist bis zum 09. Juni 2023 möglich. Bei späterem Rücktritt wird die gesamte Tagungsgebühr fällig – außer bei Nennung einer Ersatzperson.

Die Erstattung ggf. bereits gezahlter Beiträge erfolgt nur bei schriftlicher Angabe der Kontoverbindung und in jedem Falle abzüglich einer Bearbeitungsgebühr von EUR 30,00 pro Person.

Stand 01/23 – Änderungen vorbehalten