Symposium

Freitag, 9. September 2022, 9:30 bis 17:00 Uhr
Kardinal König Haus, Wien

Care und Gerechtigkeit – Getrennte Pole oder zwei Pfeiler einer Brücke?

Care, die Sorge, steht im Zentrum des Lebens, aber vielfach noch am Rande der Gesellschaft.  Die Corona-Krise erinnert uns: Wir sind und bleiben aufeinander angewiesen. Es ist daher Zeit, die Sorge in die Mitte der Gesellschaft zu rücken und von einem Recht auf Sorge, auf Care auszugehen, für Empfangende und Gebende.

Es gibt viel zu diskutieren: Wer leistet Sorge, wie gerecht ist sie verteilt und finanziert, welche Verschiebungen in ihrer Organisation sind zu erkennen – und wie wirkt sich all das auf die Praxis der Sorge aus? Wie sehr wird Sorge zu einer Ware, wie sehr wird sie wieder ins Private gedrängt? Wie formieren sich heute tragfähige Netze in Gemeinschaften, wie sorgen Menschen füreinander und erleben dabei, dass sie sowohl Sinn stiften als auch Sinn erfahren? Was wäre, wenn Care und Gerechtigkeit als einander bedingende gesellschaftliche Erfordernisse sich miteinander verbinden würden: Wer könnte auf der entstehenden Brücke Platz finden? Wie anders wäre das Leben der Sorgenden, aber auch das der Umsorgten?


 

Das Programm

09:30 Uhr Ankommen, Registrierung

10:00 Uhr Eröffnung: Verein Sorgenetz und D-A-CH-Netzwerk Caring Communities

10:15 Uhr Keynote: Cornelia Coenen-Marx

Neue Verantwortungsgemeinschaften: Sorgenetze zwischen Eigenverantwortung und Dienstleistung

Die Traditionen der Sorge, wie wir sie aus früheren Generationen kennen, sind ans Ende gekommen; Rollenzuschreibungen und -erwartungen, die mit ihnen einhergingen, sind mit der heutigen Gesellschaft nicht mehr kompatibel. Das zeigt sich in der Pflege, aber auch in der familiären Sorgearbeit. Vielfach ist nun von der Etablierung neuer „Sorgenetze“ die Rede – bzw. von der Notwendigkeit, solche zu schaffen. Was brauchen derartige Modelle, um funktionieren zu können? Sie müssen Autonomie wahren und Individualität respektieren, zugleich aber vielfältige Unterstützung zulassen, was unter anderem bedeutet, informelle Sorgearbeit und professionelle Dienstleistungen als integriertes Ganzes zu sehen. Innerhalb dieser „Sorgenden Gemeinschaften“ – in Familien, Nachbarschaften, Teams – muss außerdem eine Vielfalt gelebt werden, in der alle (potenziell) Beteiligten Raum finden.

Diskussion

11:15 Uhr Pause

11:45 Uhr Keynote: Brigitte Aulenbacher

Die große Transformation des Sorgens

Seit geraumer Zeit lässt sich ein Wandel der Sorgeregime beobachten, in dem sich die Neuordnung des Sorgens mit der Verschiebung gesellschaftlicher Sorgeverantwortung verbindet: von mehr Staat und Familie zu mehr Markt und Gemeinschaft. Auch in Gesellschaften, die familiärer häuslicher Sorge im Alter hohen Stellenwert einräumen, sind neue Sorgeformen entstanden. Anschließend an ein Motiv des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi interpretiert der Vortrag die „Bewegung“ hin zu mehr Markt und die „Gegenbewegung“ hin zu mehr Gemeinschaft als Ausschnitt einer „großen Transformation“ des Sorgens. Die damit verbundene Neuordnung des Sorgens wirft, wie mit kursorischem Bezug auf Forschungen zu markt- und gemeinschaftsbasierten Formen häuslicher Sorge angesprochen wird, Fragen nach Anforderungen und Ansprüchen an „gute Sorge“ und „gute Arbeit“ wie nach sozialer Ungleichheit und Gerechtigkeit im Kontext gesellschaftlicher Sorgeverantwortung und -zuständigkeiten auf. Der Beitrag schließt daher mit einer Betrachtung dazu, welche gesellschaftlichen Herausforderungen mit der „großen Transformation“ des Sorgens einhergehen.

Diskussion

13:00 Uhr Mittagspause

14:00 Uhr Podium | Impulse und Gespräch: Eva Fleischer, Ulla Kriebernegg, Monika Wild

Sorge als kollektive Angelegenheit: zwischen Inklusionspotenzial und Gefahr der Retraditionalisierung

Menschen, die der Caring Community-Bewegung nahestehen, setzen sich bereits in vielen Ländern der Welt für ein gutes Miteinander in lokalen Gemeinschaften ein – in Gemeinden, Stadtteilen, Wohnvierteln. Die Idee, die Sorge füreinander zu einer kollektiven Angelegenheit zu erklären, indem die Partizipation aller Beteiligten gefördert wird, orientiert sich unter anderem am Ziel einer umfassenden, sozioökonomischen Gerechtigkeit. Doch es gibt auch Fallstricke und berechtigte Bedenken, die wir in einer hochkarätigen Expertinnenrunde diskutieren wollen. Erbringen Caring Communities Kompensationsleistungen in einem überforderten Sozialstaat, der aufgrund seiner neoliberalen Ausrichtung nicht (mehr) für die Vielen da ist? Führt der Ansatz zu einer Deprofessionalisierung von Care-Arbeit, indem etwa vermehrt auf Freiwilligenarbeit gesetzt werden soll? Trägt das Modell der Caring Communities dazu bei, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu verschärfen? Inwieweit hat es das Potenzial, gewachsenen Ungerechtigkeiten und Asymmetrien etwas entgegenzusetzen und die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen zu befördern?

15:15 Uhr Pause

15:45 Uhr Keynote: Erich Lehner

Was braucht die Gesellschaft von morgen, damit auch die Männer sorgen?

Caring Communities können nur dann wirklich „sorgende Gemeinschaften“ sein, wenn die Sorgearbeit von beiden Geschlechtern übernommen wird. Doch das traditionelle männliche Rollenbild ist noch immer von Dominanz, Konkurrenz und Hierarchie geprägt. „Setz dich durch“, diese Aufforderung wird schon jungen Burschen mit auf den Weg geben. Diese Haltung schließt aber ein bewusstes Umgehen mit der Interdependenz, also mit dem wechselseitigen Angewiesensein, aus; sie bietet wenig Raum für empathische, sorgende Zuwendung. Wie kann es gelingen, dass Männer Sorge für sich und ihre Umwelt übernehmen – und diese Rolle als stimmig erleben? Der Weg führt nicht über Belehrung, sondern über gesellschaftliche, letztlich politische Entwicklungen: Unsere Lebensräume müssen verändert werden. Als Väter, als Söhne und Enkel, als Freunde und als Nachbarn, als Mitarbeiter und als Unternehmer brauchen Männer ein neues Selbstverständnis – eines, in dem klar ist, dass sie ihren Teil der unbezahlten familiären Sorgearbeit übernehmen. Warum sollte das für Männer attraktiv sein? Es gibt viel zu gewinnen, weiß die Männerforschung.

Diskussion

16:30 Uhr Auf dem Weg zur Sorgegerechtigkeit – gemeinsames Resümieren

17:00 Uhr Abschluss

Moderation: Gert Dressel, Sonja Prieth | Verein Sorgenetz


 

Die Beitragenden

Brigitte Aulenbacher

ist Professorin für soziologische Theorie und Sozialanalysen am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz und Vize-Präsidentin der International Karl Polanyi Society. Sie ist unter anderem Mitherausgeberin der Bücher „Capitalism in Transformation, Movements and Countermovements in the 21st Century“ (2019) und „Gute Sorge ohne gute Arbeit? Live-in-Care in Deutschland, Österreich und der Schweiz“ (2021), der Buchreihe „Arbeitsgesellschaft im Wandel“ und des Magazins der International Sociological Association „Global Dialogue“.

Cornelia Coenen-Marx

ist Theologin, Pastorin und Autorin mit umfangreicher Publikationstätigkeit. Seit 2015 ist sie Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge – Impulse, Workshops, Beratung“. 2021 erschien ihr Buch „Die Neuentdeckung der Gemeinschaft. Chancen und Herausforderungen in Kirche, Quartier und Pflege“ bei Vandenhoeck & Ruprecht.

Eva Fleischer

ist Professorin am Department für Soziale Arbeit am MCI, Vortragende und Trainerin in der Erwachsenenbildung (www.social-change.rocks); engagiert bei der zivilgesellschaftlichen Initiative Care.Macht.Mehr (www.care-macht-mehr.com), in diesem Zusammenhang Mitverfasserin des Positionspapiers „Großputz! Care nach Corona gerecht gestalten“.

Ulla Kriebernegg

ist Amerikanistin und Alternswissenschafterin, Professorin und Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) der Universität Graz, Vorsitzende der Age and Care Research Group Graz, Lehrende an der Medizinischen Universität Graz; Projektmitarbeiterin „Caring Living Labs Graz“. Mehrere Projekte zum Thema Alter(n) und Care.

Erich Lehner

ist Psychoanalytiker in freier Praxis und seit mehr als 30 Jahren in der Männer- und Geschlechterforschung sowie in der Männerarbeit und -bildung tätig. Er ist Vorsitzender des Dachverbandes der Männerarbeit in Österreich (DMÖ).

Monika Wild

war Leiterin der Gesundheits- und Sozialen Dienste beim Österreichischen Roten Kreuz von 1994 bis 2021, DGKP, absolvierte Studien von Pädagogik, Pflegewissenschaft und Gesundheitsmanagement, Mitinitiatorin des Projektes „Caring Communities. Sorgenetze in der Gemeinde stärken“ des Roten Kreuzes. Sie ist seit 2021 in Pension und freiberuflich tätig.

 


 

Das Symposium richtet sich an

Engagierte in Caring Communities-Initiativen; Verantwortliche in Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens sowie in Politik und Verwaltung; Personen, die in Care- Berufen tätig sind; Personen, die sich zivilgesellschaftlich für bzw. in der Care-Arbeit engagieren (möchten); der Hospiz- und Palliativbewegung nahestehende Personen; alle Menschen, die an der Entwicklung von zukunftsfähigen Formen des Zusammenlebens interessiert sind.

Veranstaltungsort

Kardinal König Haus, Kardinal-König-Platz 3, 1130 Wien

Veranstaltet von

Verein Sorgenetz und MIGROS Kulturprozent in Zusammenarbeit mit dem „1. Internationalen Lehrgang Caring Communities 22/23“ und mit dem D-A-CH-Netzwerk Caring Communities

Programmentwicklung

Sonja Prieth, Patrick Schuchter und Klaus Wegleitner

Information und Anmeldung

Verein Sorgenetz, Ilona Wenger, wenger@sorgenetz.at

Teilnahmebeitrag

EUR 115,00

Im Preis inkludiert sind Pausenverpflegung am Vormittag und am Nachmittag sowie das warme Mittagsbuffet im Kardinal König Haus.

Begrenzte Teilnehmer*innen-Anzahl. Nach Ihrer verbindlichen Anmeldung per Mail (bitte um Angabe der korrekten Rechnungsadresse) erhalten Sie eine Bestätigung der Anmeldung und eine Rechnung über die Tagungsgebühr zugeschickt. Erst nach Zahlungseingang ist Ihr Platz gesichert. Eine Stornierung ist bis zum 26.08.2022 möglich. Bei späterem Rücktritt wird die gesamte Tagungsgebühr fällig – außer bei Nennung einer Ersatzperson.

Die Erstattung ggf. bereits gezahlter Beiträge erfolgt nur bei schriftlicher Angabe der Kontoverbindung und in jedem Falle abzüglich einer Bearbeitungsgebühr von EUR 30,00 pro Person.

Stand 08/22 – Änderungen vorbehalten

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